Kunst und Kultur
Akuelle Debatte: Die Rolle von Kunst und Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Stärker als noch vor einigen Jahren merken wir, vor welch großen Herausforderungen wir als Gesellschaft stehen. Das fängt bei der ökologischen Krise in einer globalisierten Welt an. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind die Antworten darauf.
Aber es gibt heute eben auch eine Krise des Sozialen, selbst hierzulande. Die Fliehkräfte sind stärker geworden, die Lebenswirklichkeiten der Menschen entwickeln sich auseinander; Herkunft spielt wieder eine größere Rolle, etwa beim akademischen Aufstieg; die Bewohnerinnen und Bewohner der so individualisierten Lebenswelten schotten sich zunehmend voneinander ab. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns mit zunehmender Geschwindigkeit wieder der Ständegesellschaft des 18. Jahrhunderts nähern.
Zunehmend beobachte ich auch so etwas wie eine digitale Verschmutzung unserer sozialen Umwelt. Das mag die eine oder der andere nicht gerne hören. Aber es ist doch so:
Digitale Medien tragen eher dazu bei, die Gesellschaft auseinander zu treiben, als sie zusammen zu halten.
Und damit müssen wir umgehen lernen.
Und das muss ich jetzt auch noch sagen: Das world-wide Web wirkt auch als Verstärker für Verschwörer und rechte Populisten. Damit ist unsere Welt lauter und rauer geworden. Ich bedaure das.
Welche Antworten aber haben wir auf die soziale Krise und die zunehmende Entfremdung der Menschen?
Eine wichtige Antwort liegt für mich in der Rolle, die Kunst und Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt spielen könnten. Es geht mir nicht darum, Kunst und Kultur eine bestimmte Funktion aufzudrücken. Die Kunst ist und bleibt frei. Es geht darum, Türen zu öffnen und Brücken zu bauen. Lassen sie mich drei solche Brücken nennen.
Ich denke da erstens an die kulturelle Bildung.
Welchen anderen Ort als die Schule haben wir, wo wir jedes Kind erreichen? Kulturelle und ästhetische Bildung kommt nicht von alleine. Musik wird anders wahrgenommen, wenn man selbst ein Instrument spielt. Bilder und Bücher öffnen sich, wenn Anspielungen verstanden und Formen gedeutet werden können. Im Theater in der Schule wird der Rollenwechsel eingeübt: den anderen verstehen und nachfühlen!
Seit 2011 setze ich mich dafür ein, kulturelle Bildung stärker zu machen – und ich werde das auch weiterhin tun. Die Landesverbände Kulturelle Jugendbildung und Theater an Schulen, die Musikschulen, die Jugendkunstschulen, die Kinder- und Jugendtheater, die TanzSzene und alle anderen, die sich für kulturelle Bildung stark machen, haben unsere Unterstützung verdient!
Ich denke zweitens an kulturelle Teilhabe, an eine Öffnung der Kulturinstitutionen für alle.
Dazu kann, wie beim Württembergischen Landesmuseum mithilfe privater Förderung gerade erprobt, wird, der Verzicht auf Eintrittsgelder gehören. Noch läuft der Versuch, die ersten Zahlen sind sehr positiv.
Ich zitiere dazu aus den Stuttgarter Nachrichten vom 04.04.2018:
„Wenn die Besucher mit dicken Jacken und Rucksäcken in die Ausstellung stürmen, dann ist das für Cornelia Ewigleben ein sehr gutes Zeichen. Selbst wenn jemand eine Skulptur anfassen will, ist das Aufsichtspersonal zwar gefordert, aber an sich erfreut die Direktorin des Landesmuseums Württemberg diese Neugier. […] Offensichtlich hat [der freie Eintritt] Besucher angelockt, die vorher noch nie in einem Museum waren.“
Hier zeigt sich, dass der Verzicht auf Eintritt nur einen von mehreren Bausteinen darstellt. Der Geldbeutel ist sicherlich eine große Hürde, wenn es darum geht, Kultureinrichtungen für alle Menschen zu öffnen. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, wer überhaupt auf die Idee kommt, ins Museum zu gehen, sich eine Oper oder eine Ballettaufführung anzusehen oder gar selbst künstlerisch aktiv zu werden. Was muss sich beispielsweise an Ausstellungskonzepten ändern, damit ein Museum für neue Besucherschichten attraktiv wird?
Das sind große Fragen.
Damit ist die dritte Brücke angesprochen: Maßnahmen der Kulturvermittlung, die über die klassische Förderung der Kulturinstitutionen hinausgehen.
Ich denke hier beispielsweise an ein Theater, das seine traditionelle Spielstätte verlässt und in einem Brennpunktstadtteil einen Container aufstellt, um im und mit dem Stadtteil zu spielen.
Ich freue mich darüber, dass das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst sich aktiv der Kulturvermittlung in die Gesellschaft hinein widmet. Denn dabei geht es genau um diese Fragen.
Mit Übernahme der Regierungsverantwortung haben wir den Innovationsfonds Kunst eingeführt. Für die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch Kunst und Kultur ist er eine wunderbare Sache.
Wenn ich die Projektlisten durchblättere, bin immer wieder berührt davon, wie kreativ und ideenreich die erfolgreichen Anträge badischer und württembergischer Kultureinrichtungen gerade in den Förderlinien „kulturelle Bildung“ und „Interkultur“ sind.
Hier wird das große Potenzial sichtbar, das in Theatern, Museen, Kulturvereinen und vielen anderen Einrichtungen steckt. Dieses Potenzial gilt es für die Gesellschaft nutzbar zu machen.
Die Förderung aus dem Innovationsfonds bleibt jedoch auf Projekte beschränkt. Wenn Kunst und Kultur nachhaltig zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen, als Gegengift zu Hass und Gewalt wirken sollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die sie tragenden Einrichtungen ständigen Zugang zu dem Laboratorium haben, welches es braucht, um sich selbst neu zu erfinden.
- Kulturelle Bildung von Anfang an
- Kultureinrichtungen, die sich öffnen und neu erfinden
- Neue Wege der Kulturvermittlung
Das sind die Antworten, die wir – fünfzig Jahre nach 1968 – kunstpolitisch auf die heutige soziale Krise geben können.
Lassen Sie uns gemeinsam die genannten Brücken beschreiten, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden!