Mobilität

Freigabe von Radverkehrsinfrastruktur für S-Pedelecs

Als Speed-Pedelecs - kurz S-Pedelecs - werden Elektrofahrräder mit einer Tretunterstützung bis 45 km/h bezeichnet. Mit dem S-Pedelec lassen sich komfortabel weitere Strecken in kürzerer Zeit zurücklegen als mit einem klassischen Fahrrad oder Pedelec, sodass sie insbesondere für die alltägliche Pendelstrecke zur Arbeit als klimaschonende Alternative zum Auto angesehen werden. Aber auch wenn S-Pedelecs für den ungeübten Blick aussehen wie normale Fahrräder, Radverkehrsanlagen sind für sie hierzulande tabu. Denn sie werden in Deutschland als Kleinkrafträder eingestuft und müssen daher inner- wie außerorts mit dem Kfz-Verkehr auf der Fahrbahn fahren. Ein Umstand, der von vielen als zu gefährlich empfunden wird und vom Umstieg auf S-Pedelec abschrecken kann. Dabei ist es in vielen unserer Nachbarländer, wie in der Schweiz oder in Belgien, längst erlaubt mit dem S-Pedelec den Radweg zu benutzen.

Auch Baden-Württemberg ist hierbei im Bundesvergleich vorangegangen und hat seinen Kommunen bereits 2018 die Freigabe von Fahrradinfrastruktur mittels Zusatzzeichen „S-Pedelec frei“ ermöglicht. Aber lassen sich die Daten aus dem Ausland auf die Straßen im Ländle übertragen? Und welche Erfahrungen liegen aus Baden-Württemberg bisher vor, wo vor allem die Stadt Tübingen hervorsticht und bereits ein ausgewähltes Streckennetz für S-Pedelecs freigegeben hat? Diesen und mehr Fragen gingen die Fachleute einen Abend lang im Stuttgarter Landtag nach.

Nach einer kurzen Einführung durch den Landtagsabgeordneten Hermino Katzenstein, Initiator des Parlamentskreises und Grüner Fraktionssprecher für Rad- und Fußverkehr, gab Radprofessorin Martina Lohmeier von der Hochschule RheinMain einen Einblick in ihr Forschungsprojekt „S-Pe(n)delec“. Im Rahmen dieser in Tübingen durchgeführten Studie untersuchte die Wissenschaftlerin die Auswirkung der Infrastrukturfreigabe für S-Pedelec direkt im Bestand. Lohmeiers Ergebnisse zeigen, dass die Tübinger Erfahrungen mit denen aus dem Ausland sehr wohl vergleichbar sind. Eine gute Infrastruktur mit einem lückenlosen Netz sind dabei Voraussetzung zur Nutzung für Pendlerfahrten. Risikobehaftete Situationen erlebten S-Pedelec-Fahrende vor allem, wenn der Unterschied zwischen den Geschwindigkeiten der verschiedenen Verkehrsteilnehmenden zu groß war. Außerdem interessant: Die Studienteilnehmenden neigten trotz der leistungsstarken Räder keineswegs zum Rasen, sondern passten ihre Geschwindigkeit den äußeren Gegebenheiten an.

Eine Beobachtung, die auch Daniel Hammer von der Fachabteilung Verkehrsplanung der Universitätsstadt Tübingen bestätigte. Mit den Worten „Realbetrieb: Unauffällig!“ fasste der Verkehrsplaner die Praxiserfahrungen der Tübinger Stadtverwaltung zusammen. Hammer verwies aber auch auf den derzeitig hohen Umsetzungsaufwand, da nach den bestehenden Regelungen jede freigegebene Strecke einzeln geprüft und beschildert werden muss, und adressierte den Wunsch nach Vereinfachung an die Landesregierung.
 

Diskussionsrunde

In der anschließenden offenen Diskussionsrunde stellten die anwesenden Institutionen und Verbände ihre Positionen heraus. Dabei reichten die Vorschläge von einer generellen Freigabe aller Radverkehrsanlagen über die Forderung nach einem klaren Handlungsleitfaden für die Kommunen bis hin zur detaillierten Einzelfallprüfung vor Ort.

Burkhard Stork, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands e.V. (ZIV), brachte die Erwartungen der Fahrradbranche an die Politik auf den Punkt: „Dinge möglich, nicht komplizierter machen! So sollten die Regeln zum S-Pedelec ausgestaltet werden.“ Zuviel Bürokratie und Prüfaufwand halte die örtlichen Verwaltungen davon ab, eine Freigabe von Radverkehrsanlagen für S-Pedelecs anzugehen. Eine Lösung könne hier eine Umkehr der Herangehensweise sein, indem lokale Radnetze pauschal freigegeben werden und nur dort die Nutzung mit S-Pedelecs eingeschränkt wird, wo ein triftiger Grund dagegenspricht.

Radweg ist nicht gleich Radweg“ betonte Dr. Matthias Zimmermann, Landesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club e.V. (ADFC). Eine grundsätzliche Freigabe straßenbegleitender Wege außerorts und von Radschnellverbindungen mit ihren hohen Standards wäre aus Sicht des ADFC beispielsweise durchaus sinnvoll. Wege innerorts, die Radfahrende sich mit Zufußgehenden teilen, eigneten sich hingegen nicht für die Nutzung mit S-Pedelecs.

Auch für Verkehrsstaatssekretärin Elke Zimmer hat der Schutz der Schwächsten im Straßenverkehr oberste Priorität: „Baden-Württemberg geht hier den richtigen Weg. Wir ermöglichen den Kommunen mit unserem Erlass, Infrastruktur für S-Pedelecs freizugeben, aber eben nur dort, wo es auch wirklich sicher möglich ist!“ Einen vielversprechenden Lösungsansatz sah die Staatssekretärin in einer Temporeduzierung für den Kfz-Verkehr. „Bei Tempo 30 könnten S-Pedelecs sicher mit den Autos auf der Fahrbahn mitfahren. Von den niedrigeren Geschwindigkeiten profitiert dann auch der Fuß- und Radverkehr“ ist sich Zimmer sicher.

Zum Abschluss fasste Hermino Katzenstein die Quintessenz des Abends zusammen: „Damit S-Pedelecs einen sicheren Platz auf unseren Straßen finden, müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen! Hierfür ist es wichtig, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen und im Austausch bleiben. Das heutige Treffen war dafür ein erfolgreicher erster Schritt.“  
 

Hintergrund zur 7. Sitzung des Parlamentskreises Fahrrad BW

Der Parlamentskreis Fahrrad ist nicht nur der erste seiner Art in Baden-Württemberg, sondern bundesweit der einzige in einem Landtag zum Thema Radverkehr. Der Parlamentskreis Fahrrad BW existiert bereits seit Anfang 2022 und kommt zweimal jährlich zusammen. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, den Radverkehr als wichtige nachhaltige Mobilitätsform in die Mitte des Parlaments zu tragen, um eine breite Unterstützung über Fraktionsgrenzen hinweg zu erreichen. Der Kern des Forums, welcher aus Mitgliedern verschiedener im Landtag vertretenen Fraktionen besteht, tagt regelmäßig, um sich zu Belangen und Themen rund um das Fahrrad auszutauschen. Je nach Themensetzung wird der Kreis außerdem durch weitere Fachabgeordnete, verschiedene Ministeriumsver­treter*innen sowie durch externe Gäste erweitert. Die nächste Sitzung des Parlaments-kreises ist bereits in Planung (Herbst 2025) und wird sich auf weitere Aspekte des Radverkehrs konzentrieren.

An der 7. Sitzung am 08. April 2025 in Stuttgart zum Thema „Freigabe von Radverkehrs-infrastruktur für S-Pedelecs“ haben folgende Gäste teilgenommen:

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e.V. (ADFC ), Allianz Zukunft S-Pedelec, Arbeitsgemeinschaft Fahrrad- und Fußgängerfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg e.V. (AGFK BW), Bosch eBike Systems, Hochschule Karlsruhe, Hochschule RheinMain, Landkreistag Baden-Württemberg, Merida & Centurion, Ministerium für Verkehr, Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen, Paul Lange/ Shimano, Riese & Müller, Universitätsstadt Tübingen, Zukunft Fahrrad e.V., Zweirad-Industrie-Verband e.V. (ZIV).

In Vorbereitung auf die Sitzung hatte Hermino Katzenstein die Bedeutung und Nutzung von S-Pedelecs in Baden-Württemberg mit Hilfe eines Berichtsantrags bei der Landesregierung abgefragt. Das entsprechende Dokument ist in den Drucksachen des Landtags zu finden: Drucksache 17 / 8431