„Zukunftsforum“ zeigt neue Wege zu Wohnen und Bauen

Stuttgart - Wie schaffen wir bezahlbaren Wohnraum in Baden-Württemberg, ohne die Umwelt zu belasten? Wie können wir den steigenden Bau- und Energiekosten begegnen? Und wie lassen sich die Herausforderungen angesichts mangelndem Wohnraums begegnen? Mit diesen Themen hat sich das von den Landtagsgrünen veranstaltete „Zukunftsforum“ am Freitag (27. Oktober) in Fellbach befasst.

Grünen-Fraktionsvorsitzender Andreas Schwarz, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Umweltministerin Thekla Walker diskutierten auf der Bühne mit Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Baupraxis. Rund zweihundert Gäste - hauptsächlich Fachpublikum - hörten zu und nahmen an einer „Zukunftsmesse“ mit vielen Schaustellern aus der Branche in der Alten Kelter teil.

Mehr Büros zu Wohnungen umbauen

Fraktionschef Andreas Schwarz: „Ob Bauen in die Höhe, mit erneuerbaren Baustoffen oder in Quartieren: Wir Grüne wollen bezahlbares Bauen und neues Wohnen ermöglichen.“ Günstiger Wohnraum sei kein Luxus, sondern ein Grundrecht. „Leerstehende Büros könnten zu Wohnraum umgewandelt werden. Das Potenzial ist enorm: In Baden-Württemberg könnten so bis zu 30.000 neue Wohnungen entstehen.“

Laut aktueller „BaWü-Check“-Umfrage sehen 52 Prozent der Baden-Württemberger bezahlbaren Wohnraum als dringlichste Herausforderung. Die Probleme sind vielschichtig: von steigenden Bau- und Energiekosten bis hin zu Flächenverbrauch und Umweltbelastung.

Schwarz: „Wenn wir über mehr Wohnungen sprechen, müssen wir auch in die Höhe denken. Durch Aufstocken von Gebäuden könnten wir zusätzlichen Wohnraum schaffen. Die Landesbauordnung muss dafür angepasst werden, um solche Projekte zu erleichtern.“

Städte sollen zu Schwämmen werden

Ein weiterer innovativer Ansatz im Zuge des Klimawandels - die sogenannten Schwammstädte. „Auf diese Weise absorbieren Städte Regenwasser und schützen so die Umwelt. Wir wollen die Landesbauordnung so ändern, dass Klimaanpassung und Klimaresilienz zu Leitlinien beim Bauen werden“, so Schwarz.

Die Grünen-Landtagsfraktionfraktion plant, diese Ideen in die politische Agenda des Landes einzubringen. „Unser Ziel ist es, die Landesbauordnung entsprechend anzupassen. Wir wollen den Grundstein für eine nachhaltigere und bezahlbarere Bauweise legen,“ betonte Schwarz. Das „Zukunftsforum“ zeige: Bezahlbarer und nachhaltiger Wohnraum sei möglich – und zwar gemeinsam.

Zukunftsslam

Bei einem „Zukunftsslam“ - der sich an der weltweit erfolgreichen TED-Talk-Reihe orientiert – präsentierten Expertinnen und Experten der Branche ihre Ideen.

Prof. Dr. Dr. Hans Joachim Schellnhuber, Direktor Emeritus vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, machte in seiner Keynote deutlich: „Bezahlbarer Wohnraum auf einem unbewohnbaren Planeten – das funktioniert nicht.“ Mit Blick auf die CO2-Einsparpoteziale wies er darauf hin: Man streite viel übers Fliegen, aber nicht übers Bauen. „Bei den Auswirkungen aufs Klima sehen wir diesen riesigen Elefanten nicht, weil er zu groß geworden ist.“ Dabei mache Bauen die Hälfte aller weltweiten CO2-Emissionen. Es gebe aber Hoffnung: Der Bausektor könne zum „Klimahelden“ werden, wenn es der Menschheit gelinge, den nachwachsenden Rohstoff Holz als Baustoff zu verwenden, um so CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, sagte Schellnhuber, der auch Gründer und Co-Geschäftsführer von „Bauhaus Erde“ ist.

Für Dr. Ellen Banzhaf, Geographin beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, sind naturbasierte Baulösungen die Zukunft: Versickerungsflächen für Regenwasser, Begrünungen für Fassaden, und renaturierte Bereiche. „Wir müssen von der Gesamtstadt bis zum einzelnen Gebäude denken“, sagte Banzhaf, die auch Sprecherin der Arbeitsgruppe Geomatik des Departement Stadt- und Umweltsoziologie am Helmholtz-Zentrum ist.

Quartiere in der Planung besser nutzen

Damit befasste sich Anja Kulik, Leiterin Quartier, strategische Entwicklung und Soziales der Volkswohnung Karlsruhe. Sie sprach sich für verdichtetes Bauen und für ein Umdenken bei der Bewertung alter Baumaterialien aus: Bauschutt solle nicht länger als Abfall, sondern als „Materiallager und wertvolle Ressource“ gelten.

Auch Dominik Campanella, Geschäftsführer von Concular, plädierte dafür, Materialien wiederzuverwenden und mehr im Bestand zu bauen. Ähnlich wie bei der Müll-Sortierung könnten ausgebaute Baustoffe nach einem Recycling wieder beim Gebäudebau verwendet werden.

Carsten Venus, Geschäftsführender Gesellschafter von Architekten Venus, fokussierte sich auf die Umwandlung von Nichtwohngebäude in Wohnungen in größeren Städten. Um mehr Wohnungen aus alten Bürogebäuden herauszuholen, sei ein anderes „Mindset“ der Beteiligten beim Überwinden der Hürden nötig – von der politischen Ebene bis zur Stadtplanung.

Podiumsdiskussion

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion diskutieren Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Medien zur Frage „Wie bauen wir Zukunft?“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann lobte den Schulterschluss all derjenigen, die sich im Strategiedialog „Bezahlbares Wohnen und Innovatives Bauen“ der Landesregierung beteiligen. Bauen und Wohnen seien elementar für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Sich erst Gedanken machen, was sinnvoll und notwendig ist, bevor überhaupt gebaut wird: Dafür seien Formate wie der Strategiedialog und das „Zukunftsforum“ da. Kretschmann: „Wir brauchen mehr dieser Formate, die in die Zukunft schauen und überlegen, was kommt auf uns zu? Und was können wir bereits heute tun, um angemessen zu reagieren?“

Umweltministerin Thekla Walker: „Wenn wir neu bauen, müssen wir künftig Baustoffe wiederverwenden. Recycling ist das Stichwort – und das fördern wir als Land. Das ist günstiger, ressourcenschonender und schont das Klima. Aber es gibt noch technische Fragen zu lösen. Mit unseren klugen Köpfen und innovativen Unternehmen im Land sind wir aber schon gut aufgestellt.“

Um Bauen einfacher, schneller und kostengünstiger zu machen, sieht Professor Werner Sobek, Gründer der Werner Sobek und Mitinitiator der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, einen großen Spielraum beim Reduzieren von Baunormen: „Wir brauchen mehr Baufreiheit. Wir können von den rund 20.000 Baunormen in Baden-Württemberg auf 4.000 runterkommen. Wenn wir uns anstrengen, vielleicht sogar mehr. Wenn wir uns auf die wesentlichen Normen konzentrieren, dann kommen wir zu einer Dimension an Vorschriften, die sinnvoll ist.“

Zur Frage, ob es eine Art „Gamechanger“ in der Bau- und Wohnungsfrage gebe, sagt Amber Sayah, Architekturjournalistin und Autorin: „Es wird darauf ankommen, dass bereits Vorhandene – Wissen, Lösungsansätze, Technik, Know-How – in den Standard zu überführen. Die Politik muss hier Stehvermögen beweisen – auch gegen die Widerstände, die kommen werden.“