Demokratie und Mitbestimmung | Soziales und Gesellschaft | Rubriken | Wirtschaft und Arbeit | Bauen und Wohnen | Digitales, Datenschutz und Medien | Gesundheit und Pflege | Sicherheit und Justiz | Kunst und Kultur | Artikel-Typ
Grüne veranstalten erste landesweite Frauengesundheitskonferenz
Die Fraktion Grüne im Landtag von Baden-Württemberg hat am 31. Januar 2015 zur ersten Frauengesundheitskonferenz in Baden-Württemberg eingeladen. Rund 100 Gäste, vornehmlich Fachfrauen, nahmen die Einladung an und betonten es sei höchste Zeit, dass die Politik dieses Thema aufgreife.
Dass Gesundheit nicht einfach Gesundheit ist, ist eigentlich seit Jahren bekannt. Aber die Aufnahme der gewonnenen Erkenntnisse in die Curricula, ihre Umsetzung in der medizinischen Praxis und im Krankenversicherungswesen hinkt hinterher.
Studien zeigen, dass Frauen neben biologischen Unterschieden auch spezifisch anderen psychosozialen Belastungsfaktoren ausgesetzt sind als Männer und deshalb andere gesundheitliche Bedürfnisse haben. Das macht gender- oder allgemeiner gesagt differenzsensible Behandlungsansätze und Therapien notwendig. Ein differenzbewusster Ansatz nimmt dabei nicht nur die Daten, sondern auch die verschiedenen Lebenslagen in den Blick: Herkunft, Ausbildung, Finanzen, Partnerschaft, Kinder, zu pflegende Angehörige, Wohnverhältnisse um nur einige Beispiele zu nennen.
Der Blick auf die unterschiedlichen Bedürfnisse rückt in der Medizin, der Wissenschaft und auch bei Versicherungen zunehmend in den Fokus. Trotz dieser allmählichen Sensibilisierung sind wir noch weit entfernt von einer durchgängig gendergerechten gesundheitlichen Regelversorgung. Diese Entwicklung wollen wir nachdrücklich fördern.
Die Frauengesundheitskonferenz war in diesem Sinne ein Auftakt für den Austausch und die Vernetzung von Expertinnen und Experten, Politikerinnen und bestehenden Initiativen in Baden-Württemberg.
Wichtig war den federführenden Abgeordneten, Bärbl Mielich und Charlotte Schneidewind-Hartnagel, auch die Erfahrungen anderer Bundesländer wie Bremen und Nordrhein-Westfalen einzubeziehen. Dort wurde der Handlungsbedarf früh erkannt und effektive Vernetzungsstrukturen beziehungsweise ein Kompetenzzentrum aufgebaut. Frau Prof. Claudia Hornberg machte anschaulich wie durch die Zusammenarbeit von Praxis und Wissenschaft, die im Kompetenzzentrum Frauen und Gesundheit NRW stattfindet, die Gesundheitsversorgung von Frauen verbessert werden konnte.
Ulrike Hauffe, Landesbeauftragte für Frauen des Landes Bremen, führte anhand von Beispielen wie der Geburtshilfe, der Kaiserschnittpraxis, dem Social Freezing, der HPV-Impfung, Mammografie-Screening aus, dass die Frage „Wer bestimmt über meinen Körper?“ für Frauen heute noch so aktuell sei wie vor 30 Jahren. Nach Hauffe setzt Frauengesundheit Selbstbestimmung und Selbstermächtigung voraus. Es gehe um die Rückgewinnung der Deutungshoheit über Körper, Geist und Seele, so Hauffe.
Sowohl Frau Prof. Brucker als auch Frau Prof. Pfleiderer konstatierten, dass es mehr Forschung im Bereich der Gendermedizin brauche um die vielfältigen Einflussfaktoren zu untersuchen und den unterschiedlichen Anforderungen bei der Gesundheitsversorgung, der Beratung und Prävention gerecht zu werden.
Die Schwerpunkte dieser ersten Konferenz lagen auf der Gesundheit in den Lebensphasen von Frauen, auf Gender in der medizinischen Forschung und Wissenschaft und auf Frauengesundheit und Migration bzw. Flucht.
Hier einige Zitate der Referentinnen und Referenten:
Charlotte Schneidewind-Hartnagel, frauenpolitische Sprecherin Fraktion Grüne
„Gesellschaftliche Erziehungsmodelle und Rollenbilder haben erheblichen Einfluss auf den Umgang mit dem eigenen Körper, auf Gesundheit, Krankheit und Heilung.“
„Differenzsensible Gesundheitspolitik muss bestehende Unterschiede nicht nur zu Kenntnis nehmen, sondern Gesundheitsförderung, Prävention und Beratungsangebote auch dementsprechend ausrichten.“
Katrin Altpeter, Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg
„Wir müssen fragen, ob Männer und Frauen unterschiedliche Angebote bei unterschiedlichen Bedürfnissen bekommen.“
„Wir haben auch Erfolge vorzuweisen. Die Pille danach ist von der Verschreibungspflicht entbunden worden. Der Bundesminister ist unserer Bundesratsinitiative nicht gefolgt, erst als die die EU grünes Licht gab, musste er nachgeben. Unsere Kampagnen zum Für und Wider des Kaiserschnitts haben dazu geführt, dass sich mehr Frauen für eine natürliche Geburt entschieden haben.“
Ulrike Hauffe, Landesbeauftragte für Frauen des Landes Bremen, Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF)
„Das medizinische Kontrollsystem ist bestimmt durch das dahinterstehende Finanzierungssystem.“
„In der Möglichkeit des Machbaren liegt der Zwang zum Tun.“
Kristin Komischke, Mädchengesundheitsladen Stuttgart
„Mit der Pubertät erleben Mädchen häufig einen dramatischen Einbruch von Selbstbewusstsein und Körperzufriedenheit.“
„Gegen den Optimierungswahn muss die Politik die Jugendphase stärker in den Blick nehmen. Es muss eine geschlechtergerechte Bildung geben.“
Jutta Eichenauer, Vorsitzende Landeshebammenverband BW
„Frauen wird die Fähigkeit aberkannt gebären zu können und Mutter zu sein.“
„Elf bis zwölf Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft - muss das wirklich sein? Es gibt keine nachgewiesene Korrelation mit einem sinkenden Risiko.“
„Die Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit ist in erster Linie als physiologischer Prozess im Leben der Frau zu betrachten und nicht als Krankheit und Risiko.“
Dr. Marion Janke, ProFamilia Stuttgart
„Meine wichtigste Botschaft: Wechseljahre sind keine Krankheit.“
„Wechseljahre eröffnen auch neue Räume.“
„Hormone sind keine Präventions- und Lifestyle-Medikamente.“
Prof. Dr. med. Sara Brucker, Ärztliche Direktorin, Institut für Frauengesundheitsforschung BW
„Frauenheilkunde gilt als Innovator für die gesamte Medizin.“
„Frauenheilkunde entwickelt sich zur Prävention und Früherkennung von Krankheiten.“
„Ein Beispiel für die Notwendigkeit für gendersensible Forschung ist die Tatsache, dass Frauen Diagnosen anders wahrnehmen als Männer, also auch anders angesprochen werden müssen.“
Prof. Dr. med. Bettina Pfleiderer, Universitätsklinikum Münster
„Es gibt einen Paradigmenwechsel in der internationalen Forschungspolitik. Tests werden zunehmend auch an weiblichen Zellen durchgeführt.“
„In Deutschland hinken wir den Entwicklungen in der Gendermedizin hinterher.“
Beate Deckwart-Boller, Sozialberatung in der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtling, Karlsruhe
„Das Asylbewerberleistungsgesetz diskriminiert Frauen in besonderem Maße und muss abgeschafft werden.“
Dieter David, Zentrum der Beratung, Begutachtung & Psychotherapie für Überlebende traumatischer Gewalt, PBV Stuttgart
„Traumatisierte Frauen zeigen viel häufiger als Männer sog. unspezifische Zeichen wie Migräne, Ausschläge, Zysten u. a.“
„Männer freezen (dissoziieren, Anm. d. Red.) schneller, wenn sie unbewaffnet sind, als Frauen.“
„Der Blick auf traumatisierte Frauen muss weg von der Rolle des „schmutzigen“ Opferns, hin zur vitalen Überlebenden.“
Bärbl Mielich, gesundheitspolitische Sprecherin Fraktion Grüne
„Ich kann mir gut vorstellen, dass in BW ein Kompetenzzentrum Frauen und Gesundheit nach dem Vorbild von NRW aufgebaut werden kann.“
„Der Aspekt der Selbstbestimmung von Patientinnen muss in der Medizinausbildung verankert werden.“
Dr. med. Angelika Linckh, Arbeitskreis Frauengesundheit e.V. (AKF), Stuttgart
„Frauengerechte Medizin hat die Haltung, dass die Patientin ihre eigenen Entscheidungen treffen kann.“
Dr. med. Ulrich Clever, Präsident Landesärztekammer BW
„Wir müssen auf die Mädchen sehen, die aus benachteiligten sozialen Verhältnissen kommen und schlecht ausgebildet sind. Sie werden in der Folge früh schwanger und es geht ihnen gesundheitlich schlechter.“
Prof. Claudia Hornberg, Kompetenzzentrum Frauen und Gesundheit NRW
„Das Kompetenzzentrum Frauen und Gesundheit in NRW war nur möglich, weil der politische Wille da war. (…) Das Kompetenzzentrum verbindet Praxis und Wissenschaft.“
„Es gibt Leute, die Krankheit als Ware verstehen.“
„In der grün-roten Koalition in Baden-Württemberg gibt es eine große Sensibilität für das Thema Frauengesundheit.“
Angelika Klingel, Geschäftsführerin , Evang. Müttergenesung in Württemberg
„Möglich wäre die Entwicklung eines Gesundheitsportals im Internet mit Links zu allen - auch den heute hier vertretenen - Einrichtungen, die sich mit Frauengesundheit befassen. Das wäre ein ganz konkreter Weg, um Frauengesundheit zu fördern.“
„Viele Frauen, die zu uns kommen, sind erschöpft. Es braucht eine neue partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbsaufgaben und Aufgaben im Haushalt.“
Weitere Details können Sie in den Skripten und Präsentationen der Referentinnen und Referenten sowie dem Tonmitschnitt entnehmen.