Qualität in Promotionsverfahren sichern – eine starke Stimme für DoktorandInnen
Dokumentation des Fachgesprächs am 4. Juni 2013 I. Empirische Daten zu Promovierenden und Promotionen Nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden des Arbeitskreises Wissenschaft, Forschung und Kunst der Fraktion GRÜNE begann das Fachgespräch mit einem Impulsreferat von Jakob Tesch. Herr Tesch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am iFQ und stellte empirische Ergebnisse zu Promotionen und Promovierenden auf der Grundlage des iFQ-Promovierendenpanels ProFile und anhand der Erhebungen des statistischen Bundesamtes vor. So betonte er, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen OECD-Ländern jedes Jahr eine sehr große Zahl an Doktorarbeiten abgeschlossen wird; in absoluten Zahlen liegt Deutschland hinter den USA auf Platz 2. Baden-Württemberg alleine betrachtet würde im Mittelfeld der OECD-Länder – noch vor der Schweiz und vor Schweden – liegen. Je nach Fach stellt sich in Deutschland die „Promotionsintensität“ sehr unterschiedlich dar. In einigen Fächern – Medizin, aber auch Physik und Chemie – schließen über 60 Prozent der AbsolventInnen zusätzlich eine Promotion ab. In anderen Fächern, etwa den Wirtschaftswissenschaften oder der Informatik, liegt dieser Anteil bei oder unterhalb von 10 Prozent. Der Weg von der angefangenen Promotion bis zum Fernziel Professur ist steinig – nach Schätzungen des iFQ erreichen nur 9 Prozent der Promovierten dieses Ziel. Zur Zahl und zum Erfolg von Promotionen liegen kaum Daten vor. Nach dem Statistischen Bundesamt gibt es über 200.000 Promovierende in Deutschland, davon zwei Drittel „intern“, ein Viertel „extern“ und die restlichen 8 Prozent in Form strukturierter Angebote. Ein gutes Viertel der Promovierenden wird aus öffentlichen Mitteln gefördert. Verlässliche Daten etwa zur Abbrecherquote oder zur Dauer von Promotionen gibt es nicht. Das Projekt „ProFile“ des iFQ ist ein Versuch, hier über ein Längsschnittpanel mit Promovierenden mehrerer Universitäten und Begabtenförderwerke genauere Daten zu ermitteln. Bisher gibt es über 7000 Panelteilnehmende, dabei sind alle Fächer außer der Medizin beteiligt. Die Daten deuten darauf hin, dass die soziale Herkunft („Akademikerkinder“) bei der Promotion noch deutlicher als bereits im Studium eine Rolle spielt. Männer promovieren eher als Frauen. Hinsichtlich der Qualität von Promotionen sind Differenzen zwischen Betreuungswunsch und faktischer Betreuungshäufigkeit ein wichtiges Thema, insbesondere bei externen Promovierenden. Fachabhängig kann die Betreuungshäufigkeit sehr niedrig liegen. Promovierende mit einer klaren Betreuungsvereinbarung und häufigerem Austausch mit dem Betreuer oder der Betreuerin sind dabei zufriedener als Promovierende ohne Betreuungsvereinbarung oder mit geringer Betreuungsintensität. Jakob Tesch stellte abschließend das verfügbare Einkommen und die Einkommensquellen dar. Insbesondere in den ersten drei Jahren einer Promotion kommt Stipendien dabei eine wichtige Rolle zu. Abschließend verwies Jakob Tesch auf die insgesamt recht hohe Zufriedenheit, das fächerspezifisch unterschiedlich stark ausgeprägte Armutsrisiko und die bei vielen Promovierenden langfristig nicht realisierbaren Erwartungen an eine wissenschaftliche Karriere. Die Studie des iFQ ist im Netz abrufbar. II. Baden-Württemberg geht voran bei der Qualitätssicherung in Promotionsverfahren – Eckpunkte des Ministeriums Stephan Ertner, Grundsatzreferent im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, stellte im Anschluss an diese Impuls zur Datenbasis die Eckpunkte des Wissenschaftsministeriums zur Qualitätssicherung in Promotionsverfahren vor. Ausgangslage dafür, sich mit der Qualitätssicherung im Promotionsverfahren zu beschäftigen, sind zum einen die öffentlich diskutierten Plagiatsfälle gewesen. Zum anderen ist das Wissenschaftsministerium unabhängig davon bestrebt, die Qualität des Doktortitels sicherzustellen. Dafür sind strukturelle Verbesserungen notwendig. Das vorliegende Eckpunktepapier ist in einer Arbeitsgruppe im Wissenschaftsministerium erarbeitet worden, der auch Vertreter der Universitäten und der Promovierenden angehört haben. Das Papier wendet sich zum einen an die Universitäten und Hochschulen, die ihre eigenen Regeln – etwa Grundordnungen und Promotionsordnungen – entsprechend überarbeiten sollen, zum anderen soll ein Teil der vorgeschlagenen Eckpunkte Eingang ins Landeshochschulgesetz finden. Die Maßnahmen lassen sich dabei in drei Themenpaketen zusammenfassen. Erstens geht es darum, die Transparenz und die Qualität im Promotionswesen zu verbessern. Dazu soll die Zahl der Promotionsverfahren mit dem Zeitpunkt der Betreuungszusage erfasst werden. Promotionen sollen dem Qualitätsmanagement der Hochschulen unterliegen. Die Annahmeentscheidung soll von einem kollegialen Gremium, etwa dem Promotionsausschuss gefällt werden. Die Abschlussprüfung soll sich zu einem wesentlichen Teil auf die schriftliche Promotionsleistung beziehen („Rigorosum“). Hochschulintern sollen Standards für publikationsbasierte Promotionen entwickelt werden. Ein zweiter Themenblock behandelt Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuung von DoktorandInnen. Zentral ist hierbei die Promotionsvereinbarung, für die Mindeststandards im Landeshochschulgesetz verankert werden sollen. Zudem schlägt das Wissenschaftsministerium vor, fachspezifische Obergrenzen für die Zahl der Promotionen pro BetreuerIn vorzusehen, bei deren Erreichen gegenüber dem Promotionsausschuss darzulegen ist, ob eine angemessene Betreuung noch möglich ist. Hohe Promovierendenzahlen sollen nicht honoriert werden. Externe Promovierende sollen besser in die Hochschule integriert werden. Das dritte Thema behandelt die Beteiligung von Doktoranden in der Hochschule. Hier sieht das Wissenschaftsministerium zum einen ein beratendes Promovierendenkonvent vor. Zum anderen soll im Landeshochschulgesetz eine Ombudsperson für Promotionen geschaffen werden, an die DoktorandInnen sich – etwa im Konfliktfall mit dem Betreuer oder der Betreuerin – wenden können. Die Maßnahmen stehen bis 7. Juli 2013 auf dem Beteiligungsportal des Landes zur Diskussion. III. Kommentierung der Vorschläge aus unterschiedlichen Perspektiven Im Anschluss an die beiden Vorträge war das reichlich anwesende Publikum gebeten, die Eckpunkte zur Qualitätssicherung – aber auch die Situation der Promovierenden und der Promotion insgesamt – aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Zunächst standen dabei die Betreuungs- und Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt. Für die Promovierenden-Initiative, einen Zusammenschluss von Promovierenden aus den Begabtenförderwerken, bewertete Marlen Löffler die Eckpunkte insgesamt als positiv. Dabei betonte sie insbesondere die Bedeutung klarer, realistischer und verbindlicher Vereinbarungen in einer individuellen Betreuungsvereinbarung. Die Promovierende-Initiative schlägt zudem eine Entkopplung von Betreuung und Bewertung vor. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen legte Frau Löffler den Schwerpunkt auf die Einbindung externer DoktorandInnen in die Hochschulen – sowohl im Sinn von Arbeitsplätzen als auch im Sinn eines Anschlusses an die wissenschaftliche Gemeinschaft etwa in Kolloquien. Prof. Dr. Dr. hc. Rainer Gadow stellte als Landesvorsitzender des Deutschen Hochschulverbands DHV die Notwendigkeit einer über die derzeitige Praxis hinausgehenden Regelung zur Qualitätssicherung deutlich in Frage. Vieles sei an den Universitäten schon umgesetzt, die Betreuung der Promovierenden erfolge auf hohem Niveau. Hier sei die akademische Gemeinschaft gefragt, nicht die Politik. Die Referentin für Hochschule, Forschung und Weiterbildung der GEW, Santina Battaglia, sah dagegen einen erheblichen, noch deutlich über das Eckpunktepapier hinausgehenden politischen Handlungsbedarf. Aus Sicht der GEW sei die Schaffung von Transparenz ebenso zu begrüßen wie die Einführung individueller Betreuungsvereinbarungen, die Abschaffung der Honorierung hoher Promovierendenzahlen und die Einführung einer Interessenvertretung für Promovierende. Doch gingen diese Vorschläge nicht weit genug, denn es fehlten viele Rahmenbedingungen, die für gelingendes Promovieren relevant seien. Frau Battaglia nannte hier insbesondere die materielle Absicherung und die Entlastung der Promovierenden von promotionsfernen Tätigkeiten, etwa unbezahlten Lehraufträgen. Zudem sei es sinnvoll, alle Promovierenden der Statusgruppe Mittelbau zuzuordnen, um so tatsächlich eine starke Stimme zu schaffen. Als zweites Thema stand die Frage im Mittelpunkt, ob und wenn ja was von der strukturierten Promotion gelernt werden könne. Hierzu stellte Sorana Kamla die Einbindung von Elementen der strukturierten Promotion in alle Promotionsverfahren an der Universität Freiburg vor. Als persönliche Referentin des Prorektors für Forschung ist sie u.a. für die Internationale Graduiertenakademie (IGA) der Universität Freiburg zuständig, die Beratungs- und Kursangebote für Promovierende bündelt. Viele der Maßnahmen aus dem Eckpunktepapier würden dabei bereits umgesetzt. Die Universität habe hiermit gute Erfahrungen gemacht. Eine Rahmenpromotionsvereinbarung der Universität befinde sich in Vorbereitung, diese soll u.a. das Thema der Betreuungsvereinbarungen aufgreifen. Dr. Stephanie Nau, die Koordinatorin der Zeppelin University Graduate School (ZUGS), präsentierte, wie alle Promovierenden an der – kleinen – privaten Universität im Rahmen eines teilstrukturierten Programms betreut werden. Zu diesem Programm gehören auch die kollegiale Zulassung sowie Betreuungsvereinbarungen zwischen DoktorandIn und „PromotorIn“. Sie betonte dabei die externe Ko-Betreuung und die Einbeziehung der Doktorandenvertretung in die Erstellung des Angebots der Graduiertenschule. Im dritten Themenblock öffnete sich die Diskussion in Richtung der Frage, wer (wo und wozu) promovieren soll. Das Wort hatte hier zunächst Prof. Dr. Karl. J. Ebeling, der als Rektor der Universität Ulm und als Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz die Position der Universitäten darstellte. Er sieht in dem Eckpunktepapier gute Ansätze, legte aber Wert darauf, dass die Selbstständigkeit der Studierenden und Promovierenden zu erhalten sei. Wichtig sei die Einbeziehung der Promovierenden in Forschungsteams und Arbeitsgruppen. Promoviert werden sollten die Besten, um so das Land voranzubringen – an einer Institution, die den Dr.-Titel vergeben kann. Prof. Ebeling sprach zudem die Frage der Internationalisierung an: Wie kann es gelingen, die besten Promovierenden auch aus dem Ausland zu gewinnen? Für die Rektorenkonferenz der Hochschulen für angewandte Wissenschaften sprach Prof. Dr. Gerhard Schneider, Rektor der Hochschule Aalen. Er stellte eine in den letzten Jahren deutliche Zunahme der Forschungsstärke der Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) fest. Entsprechend sei es bedauerlich, dass die HAW – insbesondere mit ihrer Stärke im Bereich der Ingenieurwissenschaften – beim Eckpunktepapier nicht berücksichtigt worden seien. Schon heute promovierten etwa 300 DoktorandInnen an den neun kooperativen Promotionskollegs in Baden-Württemberg. Auch forschungsstarke Professorinnen und Professoren der HAW würden gerne an der Möglichkeit, Promotionen zu betreuen, teilhaben. Master-AbsolventInnen der HAW soll der gleichberechtigte Zugang zur Promotion eröffnet werden. Aus der Sicht der baden-württembergischen Wirtschaft sprach Tim Wenniges, Leiter des Hochschulreferats der Südwestmetall. Einen Schwerpunkt seiner Ausführungen legte er darauf, dass ein großer Teil der Promovierten nicht in der Wissenschaft verbleibt, sondern in die Wirtschaft wechselt. Dementsprechend sei es wichtig, dass Universitäten umfassend auch auf Karrieren außerhalb der Wissenschaft vorbereiten. Dazu gehörten auch frühzeitige Kontakte zwischen Promovierenden und Unternehmen. Weitere in der Diskussion aufgeworfene Fragen betrafen u.a. die Sonderrolle der medizinischen Promotion. An den Universitäten mit medizinischer Fakultät finde ein großer Teil der Promotionen in der Medizin statt, dies müsse im Eckpunktepapier berücksichtigt werden. Thematisiert wurden zudem die je nach Fach sehr unterschiedlichen „Promotionskulturen“. Wichtig sei in jedem Fall die Einbeziehung der Promovierenden in die wissenschaftliche Praxis, in die „community“. Bezüglich strukturierter Promotionsprogramme wurden mehrfach ausländische Universitäten angesprochen, die mit einer stärker als in Deutschland strukturierten Promotion und mit von beiden Seiten eingeforderter Verbindlichkeit gute Erfahrungen gesammelt hätten. Die freie Promotion solle jedoch auf jeden Fall erhalten bleiben. In seiner Schlußbetrachtung griff Dr. Kai Schmidt-Eisenlohr die genannten Themen auf. Auch das wiederholt angesprochene Thema der wissenschaftlichen Karrierewege und der Unsicherheit, unter der der wissenschaftliche Nachwuchs vielfach arbeite, werde von der Fraktion weiter behandelt werden, sicherte er zu. Bezüglich des Eckpunktepapiers fasste er zusammen, dass es nicht ausreiche, den Status quo zu halten, sondern dass um eine – fachspezifisch unterschiedlich gefasste – Verbesserung der Qualität gehen müsse. Dabei kristallisiere sich insbesondere die Betreuungsvereinbarung als geeignetes Instrument heraus. Hinsichtlich der Strukturierung sei für ihn eine Bandbreite unterschiedlicher Modelle sinnvoll. Wichtig sei die Verankerung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Die Fraktion GRÜNE werde über die Frage eines eigenständigen Status der Promovierenden weiter diskutieren.