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Vom Flüchtling zum Mitbürger - Fachtagung für aktive Flüchtlingspolitik auf kommunaler Ebene
Weltweit sind 57 Millionen Menschen auf der Flucht. Baden-Württemberg steht zu seiner humanitären Verantwortung und nimmt jeden Monat mehrere Tausend von ihnen auf – Tendenz steigend. Um die Herausforderung zu meistern, ist gute Flüchtlingspolitik vor Ort notwendig. Die Fraktion der GRÜNEN im Landtag hat deswegen auf Initiative der Fraktionsvorsitzenden Edith Sitzmann zu einer Fachtagung geladen, um über Probleme und Chancen kommunaler Flüchtlingspolitik zu diskutieren. Dort wurden Neuerungen wie die Einrichtung einer Ombudsstelle für die Erstaufnahme vorgestellt. Nach der Tagung soll ein Leitfaden erstellt und die Vernetzung von Ehrenamt und staatlicher Arbeit gestärkt werden.
„Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ – mit diesem Zitat von Karl Valentin eröffnete Edith Sitzmann die Fachtagung vor ca. 150 Gästen. Willkommenskultur bedeute, dass aus Fremden Freunde und Mitbürger würden. Dazu sei eine engagierte Flüchtlingspolitik in den Kommunen und eine gute Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und Ehrenamt unerlässlich. Das große ehrenamtliche Engagement in Baden-Württemberg verdiene nicht nur Dank und Anerkennung, sondern aktive Unterstützung.
Staatssekretär Klaus-Peter Murawski betonte, dass sich die grün-rote Landesregierung bereits sehr früh für verbesserte Rahmenbedingungen der Flüchtlingsaufnahme im Südwesten eingesetzt habe. Das Land hat die Kapazität in den Landeserstaufnahmestellen massiv erhöht und die Mittel für die Flüchtlingshilfe aufgestockt. Baden-Württemberg sei es dadurch gelungen, die ankommenden Flüchtlinge aufzunehmen und nicht zurückweisen zu müssen. Dafür dankte Murawski den Verantwortlichen an den Standorten der LEAs und all den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern ausdrücklich. Die Gesundheitsversorgung werde sich durch die Einführung der Gesundheitskarte erheblich verbessern, der Bund habe bereits zugesagt, die Einführung der Gesundheitskarte zu ermöglichen. Auch ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild müsse kommen, um Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik sinnvoll steuern zu können.
Auch Daniel Lede Abal, der integrationspolitische Sprecher der Landtagsfraktion, stimmte Murawski in seinem Referat zu: Schnellverfahren für Balkanflüchtlinge mit niedriger Anerkennungsquote könne nur der propagieren, dem rechtsstaatliche Verfahrensstandards egal seien. „Asylverfahren in zwei Wochen sind der pure Populismus und haben nichts mit der Realität zu tun.“ Stattdessen sollte die schnelle Umsetzung der im Asylkompromiss vereinbarten Verbesserungen vorangetrieben werden.
Gisela Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, zeigte auf, welche Instrumente zivilgesellschaftlichen Engagements in der Flüchtlingsarbeit heute und in Zukunft genutzt werden können – wie z.B. Vernetzungskonferenzen, Newsletter, die Herausgabe eines Leitfadens für ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit etc. Sie bedankte sich ausdrücklich bei den Ehrenamtlichen, die dem Staat „unter die Arme“ greifen. Ein „Herzensanliegen“ ist für Erler die bereits beschlossene Einführung einer Ombudsstelle für die Erstaufnahme. Sie soll eine unabhängige Anlaufstelle für Flüchtlinge aber auch Bürgerinnen und Bürger sein.
Margit Stumpp, Vorstandsmitglied der Grünen und Alternativen in den Räten von Baden-Württemberg (GAR), berichtete über die Ergebnisse einer von der GAR durchgeführten Umfrage zur Flüchtlingspolitik in den Kommunen. Es habe sich gezeigt, dass die ärztliche Versorgung an Wochenenden oder die Mobilität für Flüchtlinge vielerorts noch nicht zufriedenstellend sei.
Nach den Impulsreferaten stellten Vertreter aus Kommunen Best-Practice-Beispiele ihrer Flüchtlingspolitik vor. Für die Stadt Stuttgart als Oberzentrum referierte Stefan Spatz, Leiter des Sozialamts, als Vertreter eines Mittelzentrums Wolfgang Jokerst aus Bühl und als Integrationsbeauftragter eines Landkreises Yalcin Bayraktar aus dem Bodenseekreis. Letzterer präsentierte eine viel beachtete „Willkommenstüte“. Jedem neuen Flüchtling wird im Bodenseekreis eine Stofftasche überreicht. Sie ist nicht nur zum Einkaufen praktisch, sondern enthält auch einen Ordner mit Infomaterial über die „Dos“ und „Don’ts“ im deutschen Alltag; alles mit Bildern, die auch ohne Sprach- und Lesekenntnisse verständlich sind.
Nach dem Mittagessen widmeten sich die Teilnehmer in Arbeitsgruppen den Themen „Arbeit und Sprache“, „Bürgerschaftliches Engagement“ und „Unterbringung, Gesundheitsversorgung, Standards“. Die Protokolle dazu sind dokumentiert.
Der Vorsitzende der Projektgruppe Flüchtlinge, Manfred Lucha, fasste die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zusammen und übergab das Wort an Oliver Hildenbrand, den Landesvorsitzenden von Bündnis 90/DIE GRÜNEN. Dieser betonte: Flüchtlingspolitik lebt vom Austausch mit zivilgesellschaftlichen Helfern. „Die Fachtagung hat gezeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit verschiedener Akteure ist“, so Hildenbrand. „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber wir sind auf einem guten Weg.“
Die Fachtagung war ein wichtiger Schritt auf diesem begonnenen Weg. Die Projektgruppe hat viele Eindrücke, Wünsche und Visionen mitgenommen. Ein Anliegen ist es, auch weiterhin die Vernetzung aller Beteiligten zu fördern. Dabei soll es jedoch nicht bleiben. In den ersten Sitzungen nach der Tagung wurde eine Agenda erstellt, die in der kommenden Zeit bearbeitet werden soll. So wird beispielsweise bereits unter der Federführung von Staaträtin Gisela Erler an einem Leitfaden gearbeitet, der die Ergebnisse der Tagung noch einmal aufgreift. Außerdem haben die Arbeitsgruppen am Nachmittag gezeigt, wo konkreter Handlungsbedarf besteht. Ein erster Erfolg der Arbeit ist die Bewilligung eines Röntgengerätes für die LEA Karlsruhe. Es soll in zwei Monaten in Betrieb genommen werden.