19.01.1919: Frauen stehen in einer Schlange vor einem Wahllokal - zum ersten Mal in der deutschen Geschichte! (Foto: AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung/dpa)
Das Wahlrecht gehört zu den elementaren demokratischen Grundrechten. Seit 100 Jahren können Frauen in Deutschland wählen und gewählt werden. Im November 1918 hat sich der lange Kampf der Frauen für ihr Wahlrecht bezahlt gemacht: das gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für Frauen wurde beschlossen.
In den vergangenen 100 Jahren hat sich viel bewegt: Frauen werden Kanzlerin und Astronautin. Trotzdem bleibt viel zu tun. Die formale Gleichberechtigung verhindert nicht, dass Frauen an die „gläserne Decke“ stoßen. Sie sind in gesellschaftlichen Führungspositionen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft nach wie vor unterrepräsentiert.
Die Forderung „die Hälfte der Macht den Frauen“ ist aktueller denn je. Unsere Abgeordneten im Interview finden: Es ist Zeit für einen neuen Aufbruch!
Im Film wird vom Gender Pay Gap (Geschlechter-Einkommenslücke) gesprochen, das ist der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen.
Der lange Weg zum Frauenwahlecht
Für uns scheint es ganz normal, dass Frauen und Männer – zumindest theoretisch – gleichgestellt sind, sie wählen dürfen und Politikerin werden dürfen. Doch das war nicht immer so. Der Weg bis zur Einführung des Frauenwahlrechts war lang. Bis ins 20. Jahrhundert waren Frauen in der europäischen Geschichte selten in politischen Machtpositionen. Die Begründungen dafür waren vielfältig. Frauen wurde etwa verminderte Intelligenz und durch ihre Gebärfähigkeit eine „natürliche“ Bestimmung für den privaten, scheinbar politikfernen Bereich zugeschrieben.
„Menschenrechte haben kein Geschlecht.“
Hedwig Dohm
Frauen in die Parlamente?
Im 19. Jahrhundert begann die Parlamentarisierung europäischer Staaten. Parlamentarisierung ist die Verschiebung der Macht von Monarchen zum Parlament. Es entstanden verfassungsrechtliche Demokratie statt absolutistischer Monarchien. Solche Demokratien zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf einer Verfassung beruhen und die Gesetze von Parlamenten erlassen werden. Die Parlamente werden durch freie Volkswahlen bestimmt. Von diesen freien Volkswahlen waren Frauen jedoch ausgeschlossen.
Diesen Missstand haben Aktivist*innen bereits 1789 während der französischen Revolution beklagt. Die Hälfte der Bevölkerung wurde von vielen Forderungen und späteren Fortschritten der französischen Revolution ausgenommen. Die Kampfparole „Brüderlichkeit“ schloss Frauen aus. Auch die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789 bezog sich nur auf Männer. Das Wahlrecht galt ebenfalls nur für männliche Bürger.
Olympe de Gouges (1748-1793) verfasste daraufhin die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. Sie lehnte eine Regierung ab, die Frauenrechte nicht anerkannte. Aufgrund ihres Einsatzes für Gleichberechtigung landete sie zwei Jahre später unter die Guillotine.
Die Biographie von Olympe de Gouges steht beispielhaft für viele darauffolgende Jahre in unterschiedlichsten Staatsformen, in denen Frauen viele Rechte, darunter das politische Mitbestimmungsrecht verwehrt blieben.
Das 19. Jahrhundert war in Deutschland bestimmt von revolutionären Bewegungen und Forderungen nach politischer Gleichberechtigung und Beteiligung. Frauen begannen sich zu organisieren, obwohl ihnen 1848/49 die politische Beteiligung, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ausdrücklich verboten wurde. Viele engagierte Frauen wie die Schriftstellerin Hedwig Dohm forderten Gleichberechtigung:
„Wenn eine Frau ihren Willen nicht zur Geltung bringen darf, warum soll es der Mann dürfen.“
Hedwig Dohm (1831–1919)
Die fehlende Repräsentation von Frauen in der Politik prangert auch Louise Dittmer anlässlich der Wahl zur Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848 an, bei der keine Frauen, sondern nur besitzende Männer ab 25 Jahren vertreten waren:
„Wohl spricht man viel von Freiheit für alle, aber man ist gewöhnt unter dem Wort ‚alle’ nur die Männer zu verstehen.“
Louise Dittmer (1807-1884)
In den folgenden Jahren kämpften verschiedene Kräfte für das Frauenwahlrecht. Die gemäßigte bürgerliche Frauenbewegung strebte ein eingeschränktes Wahlrecht an. Die radikaleren sozialistischen Frauen um Clara Zetkin forderten dagegen auf dem ersten internationalen sozialistischen Frauenkongress 1907 in Stuttgart das allgemeine Frauenwahlrecht.
Während des ersten Weltkriegs schlossen sich die deutschen Frauenvereine 1916 im „Deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht“ zusammen. 1917 forderten sie in ihrer „Erklärung zur Wahlrechtsfrage“ zum ersten Mal geschlossen das Frauenwahlrecht. Der Matrosenaufstand löste im November 1918 eine revolutionäre Bewegung aus, die von Frauen und Männern getragen wurde. Daraufhin folgte der Sturz der Regierung, Kaiser Wilhelm II. musste abdanken. Die demokratische Umgestaltung des Deutschen Reiches wurde eingeleitet.
Am 12. November verkündete die provisorische Regierung, der „Rat der Volksbeauftragten“, eine verfassungsgebende Nationalversammlung wählen zu lassen, um eine neue Verfassung für das Deutsche Reich auszuarbeiten. Auch Frauen sollten nach Jahrzehnten aktiven Kampfes endlich mitbestimmen dürfen und erlangten ab sofort das aktive und passive Wahlrecht. Die ersten Wahlen, an denen auch Frauen beteiligt waren fanden schließlich im Januar 1919 statt. 36 der 423 Gewählten waren Frauen. Am 19. Februar 1919 hielt Marie Juchaz als erste Frau eine Rede in der Nationalversammlung und stellte fest:
„Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als freie und gleiche im Parlament zum Volke sprechen kann […]. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“
Während der Naziherrschaft wurde es Frauen verboten, politische Ämter auszuüben. Sie verloren also ihr passives Wahlrecht. Erst nach dem Ende des zweiten Weltkrieges konnten sie ihr aktives und passives Wahlrecht in beiden neugegründeten deutschen Staaten wieder uneingeschränkt ausüben.
Die Mütter des Grundgesetzes kämpften hart um die Aufnahme der Gleichberechtigung von Mann und Frau in das Grundgesetz. Im Jahr 1994 wurde der Absatz ergänzt.
Heute lautet der zweite Absatz des dritten Artikels unseres Grundgesetzes:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Frauen machen Geschichte
Auch die Landesgeschichte Baden-Württembergs ist geprägt von starken Frauen. Hier eine Auswahl bedeutender Frauen des Landes, die sich in der Zeit um die Einführung des Frauenwahlrechts für Gleichberechtigung stark gemacht haben.
- Marie Kurz (1826-1911)
- Emma Fromherz (1832-1923)
- Anna Blum (1843-1917)
- Karoline Breitinger (1851-1932)
- Isolde Kurz (1853-1944)
- Clara Zetkin (1857-1933)
- Camilla Jellinek (1860-1940)
- Julie Bassermann (1860-1940)
- Marie Froriep (1861-1938)
- Mathilde Planck (1861-1955)
- Anna Blos (1866-1933)
- Elisabeth Altmann-Gottheiner (1874-1930)
- Alix Westerkamp (1876-1944)
- Laura Schradin (1878-1937)
- Rahel Straus (1880-1963)
- Elly Heuss-Knapp (1881-1952)
- Anna Wilhelmine Ziegler (1882-1942)
- Marie Bernays (1883-1939)
- Anna Haag (1888-1882)
- Liselotte (Lilo) Herrmann (1909-1938)
- Annelies Kohleiss (1919-1995)
- Sophie Scholl (1921-1943)
Frauen Macht Politik
Der Frauenanteil im Bundestag beträgt knapp 31 Prozent. Im Landtag von Baden-Württemberg sind lediglich 26 Prozent der Abgeordneten Frauen. Grüne und CDU haben im Koalitionsvertrag eine klare Vereinbarung zur Reform des Landtagswahlrechts getroffen. Ziel war es, für eine angemessene Vertretung von Frauen im Landtag zu sorgen. Die CDU-Landtagsfraktion hat sich gegen diese Vereinbarung gestellt. Wir werden unseren Einsatz für mehr Frauen, für mehr junge Menschen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund im Landtag weiterführen!
Denn die Volksvertretung sollte die Zusammensetzung der Bürgerschaft widerspiegeln. Der baden-württembergische Landtag ist beim Frauenanteil das Schlusslicht aller Landesparlamente. Die FDP hat nur eine Frau, das entspricht gerade mal 8%, die SPD und AfD haben jeweils 2 Frauen, das entspricht 10% bzw. 10,5% und die CDU hat 10 Frauen, das entspricht 23%. Wir Grünen sind die einzige Partei, die beim Frauenanteil mit rund 47% paritätisch besetzt ist.
"Es wird Zeit, dass unsere politischen Mitbewerber sich bewegen mit ihrem beschämend niedrigen Frauenanteil. Nachdem sich alle freiwilligen Maßnahmen als Luftnummern erwiesen haben, müssen nun echte Lösungen her wie eine Modernisierung des Wahlrechts oder eine Quote, um mehr Frauen in die Parlamente zu bringen."
Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender
Wir fordern ein "Hälfte-der-Macht-Gesetz" für Baden-Württemberg
Zum Weltfrauentag 2019
Thekla Walker, stellvertretende Fraktionsvorsitzende: „Wer es ernst meint mit der Gleichberechtigung in den Parlamenten, kommt an paritätischen Listen nicht vorbei."
„Brandenburg hat mit dem Parité-Gesetz vorgelegt – ein guter und mutiger Vorstoß! Jetzt gilt es für Bund und Bundesländer nachzuziehen. Ich wünsche mir, dass alle Landtagsabgeordneten – Männer wie Frauen – die echte Gleichberechtigung und Teilhabe aller Geschlechter in der Politik zu ihrem eigenen Anliegen machen. Ein „Hälfte-der-Macht-Gesetz“ für Baden-Württemberg wäre der nächste logische Schritt, der uns unserem Ziel näher bringt. Für eine moderne Reform des Landtagswahlrechts in Baden-Württemberg haben wir leider keine Mehrheit gefunden. Aber wer es ernst meint mit der Gleichberechtigung in den Parlamenten, kommt an paritätischen Listen nicht vorbei“,
so Thekla Walker, stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
Der baden-württembergische Landtag ist beim Frauenanteil das Schlusslicht aller Landesparlamente. Gerade ein mal 25,9 Prozent der Abgeordneten sind Frauen. „Diese Zahlen sind 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts ein Armutszeugnis für die parlamentarische Demokratie: Ohne gleichberechtigte Parlamente keine gleichberechtigte Gesellschaft. Es muss im Jahr 2019 eine Selbstverständlichkeit sein, dass Frauen künftig zur Hälfte im baden-württembergischen Landtag und im Kabinett vertreten sind. Alle bisherigen Maßnahmen der Parteien haben diesen Zweck nicht erfüllt“, so Walker weiter.
Gesetzliche Paritéregelungen gelten bereits in acht EU-Mitgliedstaaten und haben dort zu einem höheren Anteil an Parlamentarierinnen beigetragen: Frankreich, Irland, Belgien, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien und Griechenland. Vorbildfunktion misst die EU-Kommission dem französischen Parité-Gesetz zu. Dort müssen seit 2001 alle Wahllisten der Parteien paritätisch mit Frauen und Männern besetzt sein. Nicht paritätisch besetzte Listen werden zurückgewiesen und zur Wahl nicht zugelassen. Als Folge der quotierten Listen ergab sich in Frankreich nach den Wahlen 2010 in den Kommunal- und Regionalparlamenten sowie im Europaparlament ein Frauenanteil zwischen 40 und 50 Prozent.
Nun hat sich Brandenburg hat sich als erstes deutsches Bundesland für diesen Weg entschieden – bei der Landtagswahl 2024 wird das am 31. Januar beschlossene Parité-Gesetz erstmals angewendet.
Frauen wählen, Frauen zählen!
Das Ministerium für Soziales und Integration hat in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung, dem Landesfrauenrat und dem Verein Frauen & Geschichte eine Website zum Thema Frauenwahlrecht erstellt. Diese bietet vielfältige biografische Informationen, historische Eckdaten, Download-Materialien und einen interaktiven Veranstaltungskalender für ganz Baden-Württemberg.