Erste Enquete-Sitzung

Die erste Enquete-Sitzung befasst sich mit der Definition und Erarbeitung eines Grundverständnisses des Begriffs „Krise“.

Die Expert*innen


In jede einzelne Sitzung werden zusätzlich Expert*innen eingeladen, die in öffentlichen Anhörungen zu einem gesetzten Thema vortragen. Jede Fraktion darf hier Personen vorschlagen. Unsere Fraktion hat für die erste Sitzung Pia Lamberty und Stefan Kroll nominiert:


Pia Lamberty

Pia Lamberty ist Geschäftsführerin des CEMAS - Center für Monitoring, Analyse und Strategie. Die Sozialpsychologin beschäftigt sich intensiv mit den Ursachen und sozialen Auswirkungen von Verschwörungsideologien.

Dr. Stefan Kroll

Dr. Stefan Kroll leitet die Wissenschaftskommunikation der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), die die Ursachen internationaler und innerstaatlicher Konflikte analysiert und Lösungswege erarbeitet.  Der Sozialwissenschafter ist Mitherausgeber des Handbuchs Krisenforschung und hat an verschiedensten Institutionen Themen wie multireligiöse und multiethnische Gesellschaften, außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung sowie internationale Beziehungen und Krisen erforscht und darüber aufgeklärt.

Interview...

... mit Pia Lamberty

Was verstehen Sie unter Krise?

Pia Lamberty: Eine Krise ist ein Ausnahmezustand, der Menschen in ihrem Leben bedroht. Krisen können individuell auftreten – oder auch gesellschaftlich verstanden. Häufig finden sich hier aber Interaktionen. Eine gesellschaftliche Krise wirkt sich auch auf das Individuum aus. Typisch für Krisen ist, dass ein dringender Handlungsdruck besteht.

Wie sollen wir - als Gesellschaft aber auch als Individuen - mit künftigen Krisen umgehen?

P.L.: Die Welt ist von komplexen Krisen geprägt. Insbesondere auch durch die Auswirkungen der Klimakrise besteht die Befürchtung, dass sich dies in Zukunft eher verstärken wird. Soziale Gerechtigkeit ist gerade in solchen Zeiten ein extrem wichtiger Faktor. Wird dieser Punkt nicht ernst genommen, verschärft sich die Krise meistens noch zusätzlich.

Welche Lösungen können wir hierzu entwickeln?

P.L.: Lösungsansätze müssen natürlich immer multifaktoriell sein. Wichtig ist es, nicht nur den Problemen hinterherzulaufen, sondern Ziele zu formulieren, an denen gemeinsam gearbeitet werden kann. Gleichzeitig müssen die Belastungen der Menschen ernst genommen und gegengesteuert werden. Das zeigt sich auf gesellschaftlicher Ebene genauso wie auf individueller – beispielweise bei der psychologischen Versorgung von Menschen.

Worauf müssen wir uns in den nächsten Jahren mit Blick auf Krisenkonfrontation einstellen?

P.L.: Selbst wenn die Pandemie endet, ist die Gesellschaft fragil. Das trifft auf weitere globale Konflikte und Herausforderungen. Die Klimakrise verschärft sich und die Folgen des russischen Angriffskrieges sind kaum absehbar. Gleichzeitig wird immer professioneller versucht, die Demokratie zu untergraben. Daher ist es wichtig, sich als Gesellschaft mit diesen Bedrohungen und Belastungen frühzeitig auseinanderzusetzen und die demokratische Gesellschaft zu stärken.

Von Finanzkrise, Terrorismus, Corona bis zum Ukrainekrieg: Was können wir Positives aus der gesellschaftlichen Krisenbewältigung der vergangenen Jahre lernen?

P.L.: Menschen haben mehr gelernt, welche Gefahren von Verschwörungserzählungen und Desinformation ausgeht. Die Debatte ist heute an einen anderen Punkt als vor der Pandemie. Dier Lerneffekt der Krise hilft gesellschaftlich auch aktuell, wenn es darum geht, Desinformation zu erkennen. Gleichzeitig hat sich gerade zu Beginn der Coronapandemie auch gezeigt, dass Menschen sehr solidarisch sein können. Diese Solidarität langfristig zu fördern, sollte ein Anliegen der Politik sein.
 

... mit Dr. Stefan Kroll

Was verstehen Sie unter Krise?

Stefan Kroll: Im Moment der Krise ist die Zukunft noch offen. Durch die richtigen Entscheidungen können die schlimmsten Folgen einer Bedrohung noch abgewendet werden. Darauf kommt es an.

Wie sollen wir - als Gesellschaft aber auch als Individuen - mit künftigen Krisen umgehen?

S.K.: Krisen sind gesamtgesellschaftliche Bedrohungen, die nicht individuell gelöst werden können. Das Ziel muss sein, die strukturellen Ursachen von ökologischen, ökonomischen und politischen Krisen zu bearbeiten und nicht die einzelne in die Verantwortung zu nehmen.

Welche Lösungen können wir hierzu entwickeln?

S.K.: Für die Lösung von Krisen ist das Wissen von Expert*innen von hoher Relevanz. Dies zeigte sich nur in der Pandemie, sondern auch in anders gelagerten früheren Krisen. Damit die Beratung politischer Entscheider*innen in der akuten Krisensituation effektiv funktioniert, muss der Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis bereits in Nicht-Krisenzeiten etabliert werden.

Worauf müssen wir uns in den nächsten Jahren mit Blick auf Krisenkonfrontation einstellen?

S.K.: Gesellschaftliche Polarisierung, wie sie sich in der Debatte um das Management der Corona-Pandemie gezeigt hat, ist nicht grundsätzlich schlecht. Sie kann auch ein Zeichen einer lebendigen Demokratie sein und sie hat in Deutschland auch nicht zu einer Spaltung geführt. Wichtig ist aber, Desinformation systematisch zu bekämpfen und die Radikalisierung kleiner Gruppen in der Gesellschaft durch Präventionsmaßnahmen zu verhindern.

Von Finanzkrise, Terrorismus, Corona bis zum Ukrainekrieg: Was können wir Positives aus der gesellschaftlichen Krisenbewältigung der vergangenen Jahre lernen?

S.K.: Es gibt zahlreiche positive Punkte: das schnelle und entschlossene Handeln vor allem in der ersten Welle der Pandemie 2020; der riesige wissenschaftliche Erfolg, bereits zu einem so frühen Zeitpunkt über wirksame Impfstoffe zu verfügen; die Verhinderung einer gesellschaftlichen Spaltung und die Resilienz der demokratischen Instituten. Dennoch kann vieles auch verbessert werden: die grenzübgreifende Bekämpfung globaler Krisen, die globale Impfgerechtigkeit, der Kampf gegen Desinformation.